Die Waldzither im 3. Reich
Eine häufig gestellte, jedoch aufgrund der gegenwärtigen Datenlage nur schwer zu beantwortende Frage ist die nach der Haltung der Nationalsozialisten zur Waldzither. Man liest immer wieder, die Nazis hätten das Instrument wegen seiner Verbindung mit den Wandervögeln nicht geschätzt. Die Auflösung der Jugendverbände nach der Machtergreifung und die Zwangseingliederung aller Jugendlichen in die Hitlerjugend ab 1933 habe daher auch zum Niedergang der Waldzither beigetragen.
Diese Behauptung mit historischen Quellen zur belegen oder zu widerlegen ist nicht ganz leicht. Infolgedessen verstehen sich die nachfolgenden Bemerkungen zur Waldzither im 3. Reich auch nur als eine vorsichtige Annäherung und nicht als eine abschließende Bewertung.
Bereits die Tatsache, dass die Waldzither ihre größte Popularität im Ruhrgebiet und in Westfalen erst erreichte, als der Kaufmann Hermann Plückthun 1932 mit dem Vertrieb von Waldzithern im großen Stil begann, deutet darauf hin, dass die historischen Zusammenhänge nicht ganz so einfach sind. Schaut man sich die vielen überlieferten Fotos der Waldzitherkurse aus der Region an, so stellt man zudem fest, dass das Alter der Schüler zumeist unter 14 Jahren lag - dem Mindestalter für den Eintritt in die Hitlerjugend.
Wie groß die Popularität der Waldzither nach der Machtergreifung im Ruhrgebiet teilweise war, lässt sich einer offiziellen behördlichen Umfrage aus Gladbeck von November 1935 entnehmen. Für die 433 Schulkinder, die privat Musikunterricht erhielten, ermittelte man die folgenden Zahlen:
Klavier: 198
Waldzither: 147
Geige: 41
Bandoneon: 24
Gitarre/Laute: 16
Blockflöte: 3
Mandoline: 2
Cello: 1
Querflöte: 1
Das Entsetzen über die enorme Popularität der Waldzither steht dem Autor des Artikels in der Gladbecker Volkszeitung förmlich ins Gesicht geschrieben. Er kann sich nicht zurückhalten, anzumerken:
"Das Klavier als Universal-Instrument beherrscht noch immer unbestritten das Feld. Daneben feiert die Waldzither - ein minderwertiges Instrument ohne nennenswerte musikalische Möglichkeiten, das von Reisenden vertrieben und im Massenunterricht beigebracht wird - billige Triumphe."
Nimmt man die Zeitungsmeldungen aus den 1930er Jahren als Maßstab, so war das Verhältnis der Nationalsozialisten zur Waldzither offenbar ambivalent. Hin und wieder findet man Angebote, die sich an Waldzitherspieler richten, auch trat der Waldzither- und Wanderklub Herne bereits im August 1933 geschlossen der HJ bei. Die generelle Haltung gegenüber der Waldzither scheint aber eher von Skepsis bis Ablehnung geprägt gewesen zu sein. So schließt etwa ein Aufruf derselben Hitlerjugend Herne zum Erlernen von Musikinstrumenten aus dem Jahr 1939 die Waldzither ausdrücklich aus.
Über die Gründe für diese Ablehnung kann man nur spekulieren. Sie könnten damit zu tun haben, dass die Waldzither traditionell als Instrument der Bergarbeiter gilt und im Ruhrgebiet auch so vermarktet wurde. Sie hatte ihr angestammtes Publikum somit in einer Gesellschaftsschicht, die der Sozialdemokratie (bzw. sogar dem Kommunismus) deutlich näher stand als dem Nationalsozialismus.
Auch die Tatsache, dass die Waldzither gerne von Gruppen bzw. lockeren Zusammenschlüssen Jugendlicher gespielt wurde, die sich der Zwangseingliederung in die Hitlerjugend widersetzten, dürfe nicht unbedingt zu ihrer Popularität bei den Nazis beigetragen haben.

Gruppe Halbstarker aus Essen, 1930er Jahre
Im Rheinland gab es zum Beispiel die Edelweißpiraten: Jugendliche, zumeist aus der Arbeiterklasse, die die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend verweigerten und ihre eigenen informellen Gruppen bildeten (darunter auch viele Mädchen). Man traf sich draußen, sang zu Gitarre und Waldzither Lieder der inzwischen verbotenen bündischen Jugend und dichtete Spottverse auf die Nazis.
Es wird geschätzt, dass es an die 3000 Edelweißpiraten gab, auch sind über 700 Razzien bei vermeintlichen Edelweißpiraten aktenkundig. Und es blieb nicht beim verbalen Widerstand: man verteilte Flugblätter mit Parolen gegen die Nazis, lieferte sich Prügeleien mit der Hitlerjugend, und es sind auch zahlreiche Edelweißpiraten bekannt, die Juden versteckten, sie mit Lebensmitteln versorgten und ihnen so vermutlich das Leben retteten.
Rückschlüsse aus diesen Beobachtungen auf andere Regionen Deutschlands, in denen die Waldzither ein hohes Ansehen genoss, sind jedoch kaum möglich. Über die Verhältnisse in Thüringen ist zum Beispiel so gut wie nichts bekannt. Von Theodor Heym ist allerdings ein Foto überliefert, bei dem die von ihm gebaute und präsentierte Waldzither zunächst einmal eine recht eindeutige Sprache zu sprechen scheint: der Korpus ist in der Form eines Hakenkreuzes angefertigt. Dieses Foto wurde später als so anstößig empfunden, dass man den Korpus wegretuschierte, wie die folgende Slide zeigt.
Die Wiedergabe erfolgt gemäß § 86 Abs. 4 StGB ausschließlich zum Zweck der Aufklärung bzw. Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens.
Mit einer Bewertung sollte man aber dennoch vorstichtig sein: Ob der Bau eines solchen Instrumentes ein Ausdruck von Heyms politischer Gesinnung war oder nicht vielleicht doch eher ökonomische Gründe hatte (z. B. um unter politischem Druck seine Kundschaft nicht zu verlieren), lässt sich ohne weitere Quellen nicht klären. In der Familie gibt es nach Auskunft seiner Enkelin jedenfalls keine Erinnerung an eine besondere Nähe Theodor Heyms zu den Nationalsozialisten. Man vermutet eher, dass es sich bei dem Instrument um eine Auftragsarbeit handelte, die abzulehnen seinem Geschäft in ohnehin schon finanziell schwierigen Zeiten weiteren Schaden zugefügt hätte.
Die Situation in Hamburg erfordert ebenfalls einige Bemerkungen. Der Hamburger Musiker und Fachmann für norddeutsches Liedgut Jochen Wiegandt gab 2023 seine Erinnerung zu Protokoll, er habe im Nachlass des Volksliedforschers Helmut Glagla (1934-2018) gelesen, der Hamburger Waldzitherfabrikant C. H. Böhm habe sich in den 1930er Jahren bei den Nazis angebiedert. Erst einmal dazu zu passen scheint ein Foto des Firmengebäudes am Steintorweg 2 in St. Georg, auf dem eine Hakenkreuzflagge zu sehen ist.

Die Wiedergabe erfolgt gemäß § 86 Abs. 4 StGB ausschließlich zum Zweck der Aufklärung bzw. Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens.
Ein unmittelbarer Rückschluss von diesem Foto auf C. H. Böhms politische Gesinnung ist auch hier nicht möglich. Das Foto stammt aus den späten 30er Jahren, Böhm starb jedoch bereits am 1. September 1934. Zudem wurde die Postkarte nicht von der Firma Böhm vertrieben, sondern von der Gaststätte Schinkenkrug im Souterrain, deren Inhaber August Rürup Nationalsozialist war - wie der Blick ins Innere seines Lokals bestätigt. Dementsprechend hängt die Flagge auch genau über dem Eingang zum Schinkenkrug.
Glaglas Annahme, Böhm habe sich bei den Nazis angebiedert, hat daher vermutlich einen anderen Grund. Glagla ist wahrscheinlich als Liedforscher auf einen "Grillenscheucher" (d. h. eins der bis in die 1930er Jahre hinein vertriebenen Liedhefte) von Böhm gestoßen und hat im Vorwort das Folgende gelesen:
„Es ist eine unbedingte Notwendigkeit, daß der Deutsche zu seinen Liedern auch ein echt deutsches Begleitinstrument besitzt. Wie der Spanier seine Gitarre (fälschlich Laute genannt), der Italiener seine Mandoline, der Engländer das Banjo, der Russe die Balalaika usw. sein Nationalinstrument nennt, so sollte der Deutsche seine Laute, die Waldzither, welche schon von Dr. Martin Luther auf der Wartburg im Thüringer Walde (daher der Name Waldzither) gepflegt wurde, zu seinem Nationalinstrument machen.“
Zum Abschluss seines Vorworts heißt es dann noch:
„Wenn uns auch von anderer Seite mit der spanischen Gitarre und der italienischen Mandoline der Platz an der Sonne streitig zu machen versucht wird, so hat das nicht viel zu sagen, denn für den frohen Wanderer ist das beste Instrument gerade gut genug. […] Unsere Parole soll deshalb sein: Fort mit allem was nicht deutsch und nicht praktisch ist! Das deutsche Lied zur deutschen Laute!“
Es liegt nahe zu vermuten, dass Glagla dies als Anbiederung an die Nazis verstanden hat. Das Problem ist jedoch: Böhm hat das Vorwort ca. 1909 geschrieben - noch vor dem 1. Weltkrieg und lange vor dem Aufkommen des Nationalsozialismus. Der Text appellierte an die damalige deutschnationale Gesinnung, hatte aber nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun.
Böhms politische Heimat scheint tatsächlich eher links gewesen zu sein als rechts, was bei seiner Herkunft aus dem metallverarbeitenden Gewerbe auch keine große Überraschung ist. Der junge Hermann Böhm absolvierte nämlich erst eine Lehre als Schmiedegeselle und war dann Heizer, Lokführer und Maschinist, bevor er 1897 seine Waldzither-Firma gründete. Als Böhm 1919 neue Mitglieder für seinen Waldzitherverein suchte, veröffentlichte er seine Annonce daher auch im Hamburger Echo, der Tageszeitung, die von so gut wie allen Hamburger SPD-Mitgliedern abonniert wurde. Und als er Ende Dezember 1929 noch einmal eine Anzeige für seine Waldzithern in einer Tageszeitung schaltete (was er zu dieser Zeit sonst nicht mehr tat), wählte er dafür ausgerechnet die Hamburger Volkszeitung - das Blatt der Kommunisten.
Dass die Waldzitherspieler im Norden eher links orientiert waren als rechts, kann man auch dem folgenden Foto entnehmen.

Der Junge, der auf diesem Bild der Lübecker Naturfreunde von 1926 links neben dem Waldzitherspieler kniet, ist kein Geringerer als Herbert Frahm, besser bekannt unter seinem späteren Namen Willy Brandt. Für die Nähe der Linken zur Waldzither finden sich in den damaligen Hamburger Tagezeitungen weitere Belege, für ein besonderes Interesse der Nationalsozialisten am Instrument hingegen nicht.
Auch in Hamburg waren es im Übrigen eher Gruppen besonders unangepasster Jugendlicher wie die Falkenberger, die bevorzugt zur Waldzither griffen.
